Das Urlaubsbildnis

 

Das Foto, etwa 20 cm mal 30 cm, also ungefähr DinA4, in der Horizontalen, ist hübsch gerahmt, Massivholz Ahorn, spiegelfreies Glas, als Passepartout gestaltet. Ein sommerlicher Eindruck der Strandferien in wärmeren Regionen, vielleicht Mittelmeer, vielleicht sogar USA, Florida. Auch die Kleidung auf dem Bild sieht nach Urlaub aus: sie mit weißem, luftigem Sommerkleid, große Sonnenbrille im Stil der 60er Jahre und einem weiten Damen-Panamahut, altmodische Begriffe wie „Sommerfrische“, „mondän“ und „kokette“. Ausgelassen lächelt sie, ganz feine Dame. Im Hintergrund der Strand. Er hält stolz mit jubelndem Gesichtsausdruck, Dreitagebart und weit erhobenen Armen – ein bisschen Sportangler oder Hemingway – einen Schwertfisch in die Luft. Eine schöne Erinnerung, zumindest für die Personen auf dem Bild. Anderen würde es vielleicht als Angeberei erscheinen. Als Geschenk zum Geburtstag sollte das Bild aber wohl die alte Dame am Erfolg und am Glück der jungen Verwandten teilhaben lassen. Doch es sind zwei Dinge, die das betrachtende Auge stören: Zum einen die kleine Ecke eines Autos, die am rechten Rand ins Bild ragt. Das Heck eines doch recht deutschen und verbeulten Opel Corsa b oder c in orange-braun. Außerdem die in der Mitte des Bildausschnittes platzierte untere Körperhälfte des männlichen Parts, eng verpackt im hellblauen Männerbadeslip „Marco“. Darin unübersehbar – geradezu aufdringlich – eine stattliche Erektion, die nur durch die Elastizität des hochwertigen Stretch-Materials zurückgehalten wird. Würde man eine Hierarchie der Bildbestandteile definieren, käme diese enorme Versteifung zuerst, dann der große Fisch und die jubelnde Geste, schließlich die Frau als Symbol der Eleganz und zuletzt, der Strand mit dem alten Opel Corsa.


Stolz stand er neben ihr am Geburtstagstisch, seine Körpermitte in Gesichtshöhe der alten Dame, er bückte sich zu der Sitzenden herunter, die das schön verpackte Geschenk von Papier und Schleife befreite. Seine Frau stand aufrecht daneben, lächelte in die große Geburtstagsrunde, als könne sie kaum erwarten, den Dank und die Anerkennung entgegenzunehmen. Offensichtlich mühevoll hatte die alte Dame den Nachmittag vorbereitet, Kuchen beim Konditor bestellt, vom Nachbarn Getränke bringen lassen und ein paar Häppchen in ihrer kleinen Küche zubereitet. Alles war ordentlich und adrett hergerichtet. Die Bilder der Kinder standen zwar etwas angestaubt, aber doch sorgsam platziert auf einer Häkeldecke, oben auf dem alten Röhrenfernseher. „Und? Gefällt dir unser Präsent? Es war ein so schöner Urlaub.“ Die alte Frau betrachtete das Bild, „Ja, das ist ein schönes Geschenk. Vielen Dank“, und blickte auf. In den Gesichtern der anderen Gäste stieß sie auf Unverständnis, Widerwillen. Gemurmel füllte den Raum. Undeutliche Stimmen richteten sich an die alte Frau: „Also, das ist ja vielleicht nicht so passend...“, ein spitzes kurzes Auflachen einer Frau, verdrehte Augen, andere wendeten sich leicht angewidert ab, gingen hinaus auf die Terrasse zum Rauchen, in die Küche, sonst wohin. Die Gesellschaft, die sich zunächst um die alte Dame herum gruppiert hatte, löste sich auf, ohne dass jemand die Feier verließ. Das Ehepaar mit dem Geschenk, blieb beim Geburtstagstisch stehen und lächelte selbstgewiss über die anderen Personen hinweg, als wäre nichts. Und auch die alte Dame reagierte überrascht, aber etwas zu hektisch: „Also ich kann nichts sehen, das ist doch passend für eine Feier, ein schönes Bild. Findet ihr nicht? Also ist da irgendwas dran schlecht? Es ist doch ein schönes Bild. Also ich freue mich...“ die ersten Gäste brachen langsam auf, gaben noch ein Abschiedskuss, „Wir müssen los“, „Oje, die Zeit, wir auch.“, dabei ein bitterer Blick auf das weiterhin unbeeindruckte Paar. Die alte Dame blickte sich um: „Oh, ihr geht schon, schade. Ist denn irgendwas? Also ich freue mich über die Geschenke. So ein schöner Tag.“ Später, am Ende des Tages – die alte Dame lag bereits erschöpft in ihrem Bett und schlief – saß das Paar noch allein im Wohnzimmer inmitten all der ungegessenen Speisen und trank verbittert ein Glas des halbtrockenen und lauwarmen Supermarkt-Sekts.